Die Christengemeinschaft in Marburg

Wiederbegründung 1945

Am 30. März 1945, dem Todestag Rudolf Steiners – man bedenke, es war noch Kriegszustand – haben die beiden Mitarbeiter Goebel und Franke in Privaträumen die noch überlebenden Mitglieder und Freunde der Christengemeinschaft zu einem ersten Lesegottesdienst versammelt.

Es wird nach einem neuen Raum Ausschau gehalten. Lisa de Boor macht auf das oberste Stockwerk des Hochzeithauses, Nikolaistraße 3, aufmerksam (Es war zuletzt von der Hitlerjugend entsprechend “benutzt” worden). Am 9./10. Juni 1945, vier Jahre nach dem Verbot, auf den Tag genau, konnte die erste Menschenweihehandlung in dem dürftig hergestellten Raum abgehalten werden. Dieser Vorgang glich – wie in den übrigen Gemeinden Mitteldeutschlands – einer Neubegründung der Gemeinde. Von nun an kann intensiv an dem Wiederaufbau gearbeitet werden.

Eine wohlmeinende Schicksalsführung wirkte freundlich mit. Am 11. Dezember 1945 wurde Dr. Rudolf Frieling aus dem Militärdienst entlassen, begegnete seiner Frau in Marburg und fand den Anschluss an die in Marburg lebende Familie. Zur größten Bereicherung des Gemeindelebens in Marburg, aber bald auch im weitesten Umkreis wirkte er beim Wiederaufbau der Gemeinde mit.

Nach dem Weggang Dr. Frielings in die USA unterstützte ab Sommer 1949 die Priesterin Marie Reuter geb. Schmidt den Aufbau des Gemeindelebens, zuerst von Frankenberg (Eder) aus, dann bald mit Wohnsitz in Marburg. Sie hatte das Schicksal durchlebt, zu Pfingsten 1941 in Stuttgart in den Priesterkreis aufgenommen zu werden; acht Tage später war das Verbot der Christengemeinschaft ausgesprochen. Sie konnte erst jetzt die priesterliche Tätigkeit voll ausüben (und hat dann bis ins hohe Alter 1985 in der Gemeinde in Marburg gewirkt († 1997). Die Tätigkeit von Otto Franke, die sich über das Lahntal bis nach Koblenz und Trier ausdehnte, wurde durch seinen jähen Tod am 17. Juni 1956 ganz unerwartet abgebrochen.

Lic. Robert Goebel

(Text entnommen aus: “Eine Chronik”, “50 Jahre Christengemeinschaft in Marburg 1924 - 1974”)