Gemeinschaftsstrukturen

Zur Klausurtagung des Gemeinderates


„Heilsam ist nur, wenn im Spiegel der Menschenseele sich
bildet die ganze Gemeinschaft und in der Gemeinschaft lebet
der Einzelseele Kraft.“                             Rudolf Steiner

In diesem Satz ist eigentlich alles enthalten, was das Gelingen von Gemeinschaft (Gemeinde) gewährleistet. Und doch ist es notwendig für ein tieferes Verständnis dieses Inhaltes, ihn etwas gründlicher anzuschauen. Was heißt: „Im Spiegel der Menschenseele bildet sich …“? Dass eine Gemeinschaft spiegeln sollte, was in den Seelen der Menschen, ihrem modernen Entwicklungsstand gemäß, lebt. Das ist heutzutage das potentielle Mündigsein zum individuellen Urteil. Das bedeutet aber Kommunikation auf Augenhöhe mit jedem Menschen. Diese verträgt prinzipiell keine Anweisung, sondern erfordert bei Informationsgefälle oder im Konfliktfall das Werkzeug der Erklärung (auch in hierarchischen Systemen). Nun ist es interessant, diesen Sachverhalt gemünzt auf das Miteinander in unserer Gemeinde zu betrachten.

Prinzipiell rechnet diese Einstellung mit der verantwortlichen Eigeninitiative der Menschen. Diese hohe Fähigkeit wird gewünscht und sollte nicht untergraben werden durch unnötige Einmischung. Diese Einstellung ermöglicht erst das Ideal, dass die Gemeinde von allen getragen werden kann. Das Ziel ist, dass die Menschen sich aufgehoben fühlen in der kreativen Arbeit in der Gemeinschaft. Die Gemeindestruktur ist keine hierarische. Die Pfarrer*innen sind keine Chefs, also auch nicht weisungsbefugt. So haben wir hier ein notwendiges Übungsfeld, nämlich, dass alles im richtigen Ton, in der richtigen Gruppe abgesprochen werden muss.

Diese Absprachen bedürfen noch einer besonderen Betrachtung, denn sie sind der Dreh- und Angelpunkt für ein funktionierendes Miteinander. Sie müssen sachlich geführtwerden. Man muss abwarten, bis sie getroffen worden sind, nicht voreilig handeln, genau hinhören, was der*die andere gesagt hat, was vereinbart wurde und man darf nicht interpretieren. Wir sind hier auf einem Übungsweg und wir dürfen nicht annehmen, dass das alles schon klappt. Es ist ein mühsamer Weg, bei dem Kränkungen vorkommen. Diese wieder resultieren aus Schwächen, die man noch hat. Wir brauchen also Geduld miteinander. Der besondere Status der Pfarrer ist ihre Zuständigkeit für alles, was mit dem Kultus und ihren priesterlichen Aufgaben zusammenhängt. Was ihnen weiter an Führung obliegt, ist, den Überblick zu haben über das, was in der Gemeinde abläuft, das genaue Abspüren: wann muss ich eingreifen, wie und in welchem Ton, um Eigeninitiativen nicht zu behindern, sondern zu fördern. (Was heißt heute Führung, Gemeindeführung? Die Pfarrer sind ja mit dem Auftrag der Gemeindeführung entsandt worden, und es wäre ein interessantes Gesprächsthema im Gemeinderahmen, diese Kunst, vielleicht auch diesen Spagat genauer anzuschauen.)

Was heißt: „… in der Gemeinschaft lebet der Einzelseele Kraft“? Dass auf der anderen Seite, nachdem durch richtige Regelungen die Voraussetzungen geschaffen worden sind für das Einsetzen der Tragekraft der Einzelseele, diese nun auch möglichst ihr Potential in der Gemeinschaft leben lassen sollte, denn sonst bleibt auf Dauer alles beim Alten. Die Funktionsträger (Pfarrer*innen, Gemeindehelferin, usw.) können sich dann nicht auf die Mitwirkung der anderen, die auch zur Gemeinschaft gehören, stützen. Seine Kraft in die Gemeinschaft einbringen kann außer dem körperlichen Einsatz auch heißen: Mitgestalten durch Ideen und Mitdenken in Gremien. Es ist nicht leicht für manche Pfarrer*innen, den alten Status des Machers, der Macherin aufzugeben und (wie oben schon erwähnt) nicht leicht für manche Mitglieder oder Freunde mitzuwirken, Wünsche, Ideen, Kritik zu äußern. Von beiden Seiten erfordert es Mut, das Alte aufzugeben, denn das Neue ist ungewohnt, man weiß nicht, womit man konfrontiert wird. Das Alte ist bequemer, das Neue immer unbequem. Aber den Weg des Neuen zu gehen ist die einzige Chance, von dem Frust des Überholten wegzukommen und teilzunehmen an den Gestaltungsmitteln, die die geistige Welt uns vorgibt. Das ist Gnade.

In diesem Sinne haben wir an unserem Klausurtag des Gemeinderates am 25.1.2020 miteinander gesprochen. Wir finden dieses Thema so wichtig, dass wir diesen Gesprächspunkt mit diesem Artikel öffentlich machen wollten. Wenn das Neue nicht Platz greifen kann, greift das michaelische Mittel der Krise. Mein Anliegen ist, lasst uns sie überwinden.


Wolfgang Aufdemkampe